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Hans Fallada – nach wie vor

9783939680321

Hans Fallada – nach wie vor

Betrachtungen – Erinnerungen – Gespräche – biographische Splitter

Gunnar Müller-Waldeck

Edition Pommern
ISBN 978-3-939680-32-1
256 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
€ 19,90 (D)
Broschur
Größe 22 cm x 16 cm

Beschreibung

Der vorliegende Band fasst etliche Arbeiten von Prof. Müller-Waldeck über Hans Fallada in einer Sammlung zusammen und unterbreitet sie – bislang in verstreuten Veröffentlichungen schwer zugänglich – dem interessierten Leser und Fallada-Freund. Ohne auf eine geschlossene Biographie zu zielen, wirft der Band interessante Schlaglichter auf ein Schriftstellerleben, das in manchem anders verlief, als dies der landläufige und sensationslastige Mythos um den Autor wissen will. Hans Fallada – nach wie vor? Der Schriftsteller, gelegentlich unterschätzt und mokant abgetan, ist heute in seinen besten Werken lebendig und fesselnd wie eh und je.

Aus dem Buch:

Vorwort

Bei Fallada kann jeder mitreden – denkt er. Auch jener, der nie eine Zeile vom ihm gelesen hat, denn der Mythos hat sich inzwischen verselbstständigt: Der Trinker und Drogenfreund, der in der Idylle Carwitz Siedelnde, der Autor von „Kleiner Mann – was nun?“, „Wolf unter Wölfen“, „Der eiserner Gustav“, „Geschichten aus der Murkelei“ (auch die Buchtitel schwirren schon lange selbstständig durch die Lüfte!), Autor literarischer Welterfolge und kompromissbereiter Nicht-Emigrant. Guter Familienvater und unzuverlässiger Ehepartner, disziplinierter Arbeiter und haltloser Mensch, an dem sich immer wieder Biographen abarbeiten und zu neuen Formeln finden. Vielleicht sind es die Formeln und „Bewertungen“ (Biographen müssen bewerten!), auf die ein lebendiges Menschenleben, zumal ein Künstlerleben mit seinen unvermeidlichen Tentakeln in die Öffentlichkeit, gar nicht so recht eingerichtet und „angelegt“ ist. Und trotzdem ist die Biographie eine eigene literarische Gattung geworden – mit ihren Notwendigkeiten und Systemzwängen, denn wenn man ein entsprechend dickes Buch durchgelesen hat und aus der Hand legt, will man ja mindestens mitreden können und eindeutig wissen, was man von der behandelten Person zu halten hat.
Jede neue Biographie mit anderen, neuen Formeln stört auf: Woran kann, soll man sich nun halten? Neue Gesichtspunkte, neue Quellen, neue Fakten? Oder nur: Neue Blickrichtungen?
Es ist wie bei der Beurteilung lebender Menschen: „Nein, den kenne ich ganz anders!“, „Das hätte ich von dem nie gedacht!“, „Da kennst Du ihn aber schlecht!“ – so viele Menschen, so viele Meinungen.
Die vielen Facetten bei Ditzen/Fallada fügen sich schlecht zueinander: Vielleicht ist das heute sichtbare Urlaubsparadies Carwitz hier (Seen, Maränen, Waldwinkel, lauschige Einsamkeit, gleißend-flimmernde Wasserspiegel) ein Gleichnis: Das Fallada-Haus, eines der beliebtesten und sommeroffenen Literaturmuseen mit seiner Präsentation der Wohnräume, fachkundigen Führungen, den Wechsel-Ausstellungen in der gediegen-modernen ehemaligen Scheune, mit Grünflächen, Blumenrabatten und fröhlich gestimmten Besuchern ist insgesamt doch auch eine „freundliche Schwindelei“, denn der Ort schien für den Autor aus der Ferne zwar zunächst als glückliche Welt: Wir werden endlich in ein eigenes Heim einziehen, in dem wir die Tür zumachen können und die Welt da draußen sein lassen können, was sie will! So schwärmt er 1933 den Eltern vor, jubelnd in höchsten Tönen über das Anwesen am Seeufer, aber schon 1936 klingt es bitter: Es scheint mir, ich bin so eine Art Freiwild. Ich sehe keinerlei Möglichkeit, noch irgend etwas zu schreiben. So versuchen wir nun – wir sind erst in den ersten Anfängen – Carwitz zu verkaufen und müssen dann sehen, was wird …; und schließlich lesen wir in einem Brief von 1942 (der Tiefpunkt der Ehekrise und der politischen Pressionen ist noch nicht einmal erreicht!): Ich bin der gräulichste Pessimist, den man sich überhaupt nur denken kann. Immer sehe ich schwarz, immer habe ich Angst vor der Zukunft, niemandem traue ich.
Falladas Büdnerei in Carwitz, damals ja eine landwirtschaftlich produzierende Mini-Wirtschaft, deren Erträge für die Haushaltsführung der Familie allmählich immer wichtiger wurden, war bald nicht mehr das Paradies, sondern mit den Überwachungen, Anfeindungen, Erpessungen durch die Naziinstanzen und die kleinen Mitläufer, wenn nicht eine Hölle, so doch ein hochproblematischer Schicksals-Ort, in dem man auf dem Präsentierteller saß und in dem die hinter sich geschlossene Tür wenig half. Die Idyllik im Zusammenhang mit Carwitz wird nur noch literarisch hergestellt („Heute bei uns zu Haus“) oder väterlich-pädagogisch (Briefe an den Sohn Uli nach Templin) – bei Gelegenheit auch fotografisch: (Fotoserie des Starfotografen Hoffmann oder durch glückverheißende Familienschnappschüsse…) Der Autor verdient insgesamt nicht schlecht, geht aber mit den Summen recht großzügig, ja, lax um: Sogar eine Hypothek auf den Besitz wird aufgenommen…
Im vorliegenden Band existiert keine einheitliche thematische Klammer. Es ist eine Ausschüttung höchst verschiedener Einzelelementen, wie sie bei jahrzehntelanger Beschäftigung mit dem Leben und Werk des Autors Hans Fallada zusammenkamen. Eine Art Füllhorn mit Gaben unterschiedlichsten Gewichts. So sind das Bruchstück, der biographische Splitter, die Anekdote, die Einzelbetrachtung, das Interview aufzufinden. Auch dort, wo sich (wie im Falle Jutta Kulessa, Erwin Hoof) scheinbar monologisch erinnert wird, sind diese Beiträge durch Befragungen initiiert worden. (Den „Fremd-Beitrag“ von Erwin Hoof brachte im Übrigen der Fallada-Enthusiast Heinrich Kardel aus Feldberg bei; als melancholischer Abgesang auf Ulla Losch soll er hier aufgenommen sein). Beim Gespräch wurde vom Interviewer vor allem zugehört und nie besserwisserisch korrigiert, selbst wenn sich die Erinnerungen in einzelnen Punkten widersprechen. Wie sagte ein kluger Mensch: Erinnerung ist eine Form des Vergessens. Und: Wer erinnert sich „richtig“ und wer „falsch“? Und: Auch Zuhören will gelernt sein!
Natürlich gibt es inzwischen Neues. Noch viel zu wenig ist das politisch außerordentliche, im Grunde selbstmörderische „Gefängnistagebuch“ von 1944 (hrsg. 2009) bisher in die Bewertung des vermeintlich unpolitischen „anpasserischen“ Fallada einbezogen worden, noch nie medizinisch kompetenter die Leidensgeschichte des „anderen Fallada“ (Rudolf Ditzen) erforscht und in aller Sachlichkeit analysiert worden als durch den Psychiater Klaus-Jürgen Neumärker (2014). So wurden auch zwei Rezensionen dieser Bücher in diesen Band aufgenommen, schon um jene neuen Akzente nachdrücklich ins Bewusstsein zu heben.
Werkbetrachtungen gibt es in lediglich drei Fällen, gleichsam als Probesonden in das umfangreiche Prosaschaffen.
Die vielen Bruchstücke und Splitter, die der Band bietet, sollen sich von vornherein nicht zu einer geschlossenen Biographie fügen, sondern ein Nach- Denken über das zerklüftete Leben und die unheimliche Produktivität des großen Erzählers Hans Fallada anregen. Ältere Beiträge stehen neben neuen und auch bei den Gesprächsprotokollen findet sich Neues: Der Sohn Achim Ditzen wird abermals befragt und der heutige Carwitzer Museumsleiter Stefan Knüppel kommt zu Wort. Der Ton der Betrachtungen ist zumeist feuilletonistisch locker, aber auch der Aufsatz mit wissenschaftlichem Anspruch (und entsprechenden Fußnoten!) ist gelegentlich aufzufinden. Konflikte und Widersprüche werden sichtbar und müssen oft „ungelöst“ stehen bleiben.
Vielleicht ist es gerade die unterbleibende „Lösung“, das aufregende, unbequeme Nebeneinander und Ineinander von Werk, Leben, Mythos, die Hans Fallada zu einer Art „Gesamtkunstwerk“ und „Wirkungskomplex“ machen, mit dem nicht „fertig zu werden“ ist.
Bleibt, sich dankbar zu erinnern der Gesprächspartner von damals (1992), die in einigen Fällen verstorben sind, bleibt den heutigen Gesprächspartnern und „Zulieferern“ herzlich zu danken und dem Hans-Fallada-Achiv Carwitz für die Abdrucksgenehmigung von Dokumenten und Fotos.
Gunnar Müller-Waldeck – Greifswald, September 2015

Inhalt

 
Zuvor
Rösselsprung zwischen Stadt und Land
 
Der Sohn des Landrichters
 

Urlaubsfreuden – Rudolf Ditzen in Graal und anderswo

 

Neues zu Romain Rolland, Hans Fallada und Ada Ditzen
 
„… dem treuen Schimmelpferd, das da hanget, legte ich noch ein ‚L‘ dazu – und der Fallada war da…“

Ein Märchen? Neumünster-Impressionen
 
Das Mädchen mit dem Henkelmann – Gespräch mit Lisa Zippel

Unter dem Zugriff der Macht

 
Fallada in der Nazizeit
 
Eine Greifswalder Einladung nach Carwitz
 
Hermann Broch und Hans Fallada
 

Ein Märchen-Geschenk – Pechvogel und Glückskind

 

„Er war ein Ermunterer“ – Gespräch mit Annemarie Steiner (d. i. Marianne Wintersteiner)
 
Zwischen Sudetengau und Frankreich. Fallada und der Reichsarbeitsdienst (RAD) – Gespräch mit Johann Kurjat
 
Der Eiserne Gustav – Von Hartmann zu Hackendahl oder: Das ist unser Vater nicht!
Der hat in einer Woche sechs Schwestern rausgeschmissen!“ – Gespräch mit Sophie Baumgarten
 
Hans Fallada: In meinem fremden Land Gefängnistagebuch 1944
 
Zu Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada
 
Der Feldberger Nachkriegsbürgermeister R. D. im Jahr 1945 Dichtung und Wahrheit
 
„Natürlich hatte ich Heimweh“ – Gespräch mit Uli Ditzen
 

„Sowas wie ein Spinner“ – Gespräch mit Heinrich Kardel

 

Das requirierte Büffet – Zahnarzt Walter Markwart erinnert sich

 

„Problematisch!“ – eine Anekdote
 
Erwin Hoof: Eine Bleibe für Hans Fallada
 
Der Schatten des Vaters – Gespräch mit Achim und Rosemarie Ditzen
 
Die Tochter des Seifenfabrikanten
 
“Für mich war immer Wolf unter Wölfen das interessanteste Buch“ – Gespräch mit Achim Ditzen

Nach wie vor: Hans Fallada/Beobachtungen 
um „Jeder stirbt für sich allein“
 

Hausherr in Carwitz – Gespräch mit Stefan Knüppel

 

Fallada in Schweden

Anhang:
Briefwechsel zwischen Hans Fallada und Romain Rolland 
Zu den Interview-Partnern
Anmerkungen
Quellen
Abbildungsnachweis